Sonntag, 19. März 2017

Zustandsfeststellung bei Verweigerung der Abnahme § 650f BGB-E


Für Bauverträge wird die neue Regelung zur fiktiven Abnahme in § 640 Absatz 2 BGB-E durch § 650f BGB-E ergänzt, der eine Regelung zur Zustandsfeststellung für den Fall enthält, dass die Abnahme verweigert wird, und in Ergänzung zu den allgemeinen Regeln und § 644 eine Regelung zur Gefahrtragung trifft.

Zu Absatz 1

Kommt es nicht zu einer Abnahme des Bauwerks oder der Außenanlage, weil die Vertragspartner über die Abnahmereife des Werks streiten, besteht in der Praxis das Bedürfnis, den Zustand des Werks zum Zeitpunkt des Abnahmeverlangens zu dokumentieren, um in einem späteren Prozess die Sachaufklärung zu erleichtern. 

Insbesondere wenn der Besteller das Werk ohne vorherige Abnahme in Benutzung genommen hat, entstehen bei einer späteren Abnahme häufig Unsicherheiten darüber, ob dann festgestellte Mängel aus dem Verantwortungsbereich des Bestellers oder dem des Unternehmers stammen. Ein entsprechendes Bedürfnis zur Dokumentation des Zustands kann auch bestehen, wenn die Vertragspartner einig sind, dass das Werk nicht abnahmereif ist.
Künftig soll den Besteller eine Obliegenheit treffen, auf Verlangen des Unternehmers an einer gemeinsamen Feststellung des Zustands des Werks mitzuwirken. Diese Zustandsfeststellung ersetzt nicht die Abnahme und hat auch
keine sonstigen Ausschlusswirkungen, sie dient – entsprechend ihrer Bezeichnung – lediglich der Dokumentation des Zustands des Werks, um späterem Streit vorzubeugen und ist die Grundlage für eine modifizierte Gefahrtragung.

In Satz 2 werden Anforderungen an die Form der gemeinsamen Zustandsfeststellung durch Unternehmer und Besteller aufgestellt. Mit Blick auf ihre Dokumentationsfunktion ist vorgesehen, dass diese von beiden Vertrags-
parteien zu unterschreiben ist und mit dem Datum ihrer Anfertigung versehen werden soll.

Zu Absatz 2
In der Regel werden die Parteien den Zustand des Werks gemeinsam feststellen, aber auch eine einseitige Zustandsfeststellung durch den Unternehmer soll möglich sein und die in Absatz 3 vorgesehenen Rechtfolgen auslösen.

Absatz 2 konkretisiert die Anforderungen an eine einseitige Zustandsfeststellung durch den Unternehmer. Sie soll dann möglich sein, wenn der Besteller einem vereinbarten oder von dem Unternehmer innerhalb einer angemessenen Frist bestimmten Termin fernbleibt. Dies gilt nicht, wenn der Besteller infolge eines Umstands fernbleibt, den er nicht zu vertreten hat und den er dem Unternehmer unverzüglich mitgeteilt hat. Auf diese Weise soll erreicht werden, dass sich die Vertragsparteien über den Termin zur Zustandsfeststellung austauschen und dass die
Frage des Vertretenmüssens eines etwaigen Fernbleibens des Bestellers noch vor dem Termin von ihnen erörtert wird.
Die Voraussetzungen einer einseitigen Zustandsfeststellung liegen nicht vor, wenn sich beide Vertragsparteien zu einer gemeinsamen Zustandsfeststellung einfinden, sich in der Folge aber nicht auf den festzustellenden Zustand einigen können. In diesem Fall steht es den Parteien offen, in einem selbständigen Beweisverfahren gemäß §§ 485 ff. ZPO den Zustand des Werks von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen feststellen zu lassen.

Damit der Besteller vom Inhalt der einseitigen Zustandsfeststellung Kenntnis erhält und nachträglichen Änderungen der Zustandsfeststellung vorgebeugt wird, ist in Absatz 2 Satz 2 vorgesehen, dass der Unternehmer die einseitige Zustandsfeststellung mit der Angabe des Tages der Anfertigung zu versehen und sie zu unterschreiben
sowie dem Besteller eine Abschrift der einseitigen Zustandsfeststellung zur Verfügung stellen hat.

Da die Zustandsfeststellung im Interesse beider Vertragspartner liegt, hat jede Partei die ihr entstehenden Kosten der Zustandsfeststellung grundsätzlich selbst zu tragen. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn die Voraussetzungen
eines Schadensersatzanspruchs vorliegen (§ 280 Absatz 1). Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Unternehmer den Besteller zur Abnahme auffordert, obwohl das Werk offensichtlich wesentliche Mängel aufweist.

Zu Absatz 3
An die Zustandsfeststellung nach den Absätzen 1 und 2 soll unter bestimmten Voraussetzungen eine Vermutung geknüpft werden, die den Werkunternehmer davon entlastet auch für Mängel des Werks einstehen zu müssen, die wahrscheinlich nicht von ihm verursacht sind.
Wird die Abnahme unter Hinweis auf Mängel verweigert, entsteht zwischen den Parteien häufig Streit darüber, ob es sich um wesentliche Mängel handelt, die den Besteller zu der Abnahmeverweigerung berechtigten, oder lediglich um unwesentliche Mängel, die ihn zu einer Abnahme verpflichten. Häufig geht das Werk vor der Abnahme bereits in den Einflussbereich des Bestellers über und wird von diesem genutzt. Während der Unternehmer die gerügten Mängel beseitigt, treten nicht selten weitere Beeinträchtigungen an dem Werk auf, deren Ursache
unklar ist. Da der Unternehmer auch im Falle von Störungen weiterhin zur Herstellung eines vollständig mangelfreien Werks verpflichtet ist (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 75. Auflage, § 644 Rn. 2) und die Gefahr bis zur Abnahme
des Werks trägt (§ 644 Absatz 1), hat er bis zur Abnahme die Mangelfreiheit zu beweisen. 

Wurde das Werk zwischenzeitlich durch den Besteller selbst beeinträchtigt, muss er diese Schäden ebenfalls beseitigen, wenn er nicht nachweisen kann, dass sie vom Besteller verursacht wurden.
Dieses Risiko des Unternehmers schränkt Absatz 3 ein. Ist das Werk dem Besteller verschafft worden und hat eine Zustandsfeststellung nach den Absätzen 1 oder 2 stattgefunden, gilt die Vermutung, dass ein offenkundiger Mangel, der in der Zustandsfeststellung nicht angegeben wurde, nach der Zustandsfeststellung entstanden und vom Besteller zu vertreten ist.
Um einen offenkundigen Mangel handelt es sich dann, wenn der Mangel bei einer ordnungsgemäßen Zustandsfeststellung ohne weiteres hätte entdeckt werden müssen. Bei der Auslegung des Begriffs „offenkundig“ ist die jeweilige Fachkunde des Bestellers zu berücksichtigen.

Voraussetzung des Eintritts der Vermutung ist, dass die Anforderungen an eine Zustandsfeststellung nach Absatz 1 oder Absatz 2 eingehalten sind. Verzichtbar ist lediglich die Angabe des Tages der Anfertigung der gemeinsamen Zustandsfeststellung nach Absatz 1 Satz 2, die ebenso wie in § 585b Absatz 1 Satz 3 als „Sollvorschrift“ ausgestaltet wurde.
Nach Absatz 3 Satz 2 gilt die Vermutung nicht, wenn der Mangel seiner Art nach nicht vom Besteller verursacht sein kann. Dies ist etwa der Fall, wenn es sich um einen Materialfehler handelt oder der der Mangel darin besteht,
dass das Werk nicht nach den Planungsvorgaben hergestellt wurde.
Die Vermutung geht dahin, dass der offenkundige Mangel nach der Zustandsfeststellung entstanden und vom Besteller zu vertreten ist. Auf diesem Wege können dem Besteller auch von Dritten verursachte Schäden zugerechnet werden, wenn er die Vermutung nicht erschüttern kann. Dies erscheint jedoch gerechtfertigt, weil der Besteller bereits im Besitz des Werkes ist und daher Beeinträchtigungen durch Dritte eher vermeiden kann als der Unternehmer, der dafür bisher einzustehen hat.

©  Marc Husmann   Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Herausgebers.