Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm
Gemäß dem Änderungsvorschlag zur Baunutzungsverordnung unterscheiden
sich die zulässigen bzw. ausnahmsweise zulässigen Nutzungen in einem urbanen
Gebiet nur marginal von den zulässigen Nutzungen in einem Mischgebiet.
Eine Notwendigkeit zur Anhebung der zulässigen Immissionsrichtwerte (IRW)
leitet sich nicht aus den zulässigen Nutzungen ab und steht den Erkenntnissen
der Lärmwirkungsforschung entgegen. Die im unbeplanten Innenbereich
schwierige Abgrenzung zwischen urbanen Gebieten und Misch- oder Kerngebieten
würde im Falle unterschiedlicher IRW zu Rechtsstreitigkeiten führen
und dem Ziel der Vereinfachung und Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis
entgegenstehen.
Nach der Rechtsprechung des BVerwG bleiben gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse
nur dann gewahrt, wenn die IRW für Mischgebiete nicht überschritten
werden. Anderenfalls ist weder eine selbstbestimmte Nutzung des
Außenbereiches noch des Innenbereiches bei teilgeöffnetem Fenster möglich.
Im Falle der Festlegung höherer Immissionsrichtwerte als in Mischgebieten
würden für den beabsichtigten höheren Anteil an Wohnnutzung auch nach Auffassung
des BVerwG ungesunde Wohnverhältnisse zugelassen werden.
Durch Artikel 2 Nummer 3 des Gesetzentwurfs zur Umsetzung der Richtlinie
2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens
in der Stadt soll in der Baunutzungsverordnung eine neue Baugebietskategorie
"Urbane Gebiete (MU)" eingeführt werden. Für diese Gebietskategorie enthält
die TA Lärm bisher keine Immissionsrichtwerte.
Da die Gebietskategorie "Kern-, Dorf- und Mischgebiete" die Grenze zu gesunden
Wohnverhältnissen definiert, wird die neue Gebietskategorie "Urbane
Gebiete" diesen zugeordnet.
In den "Urbanen Gebieten" sind Gebäude zulässig, in denen sich nur Wohnungen
befinden. Ebenso sind straßenseitige Erdgeschosswohnungen als Wohnungen
zulässig, wenn auch nur in Ausnahmefällen. In Kerngebieten erlaubt die
Baunutzungsverordnung keine Wohngebäude. Wohnungen sind nur ausnahmsweise
zugelassen.
Gemäß Nummer 6.7 (Gemengelage) der TA Lärm sollen Immissionsrichtwerte
für Kern-, Dorf- und Mischgebiete nicht überschritten werden. Dieser festgelegte
Grundsatz setzt eine langjährige Rechtsprechung des BVerwG
(vergleiche Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12. September 2007,
Aktenzeichen 7 B 24.07 mit Hinweis auf weitere Rechtsprechung) um und
wird auch heute noch von der Rechtsprechung getragen (vergleiche zum
Beispiel Verwaltungsgericht München, Urteil vom 1. Dezember 2015 - M 1 K
15.4127). Eine Anhebung der Immissionsrichtwerte für die "Urbanen Gebiete"
über die Werte für Kern-, Dorf- und Mischgebiete würde aus der Sicht des
Bundesverwaltungsgerichts einen Verstoß gegen das Bundes-Immissionsschutzgesetz
darstellen.
Die Änderung der BauNVO sieht die Einführung eines neuen Gebietstyps
"Urbane Gebiete" vor. Urbane Gebiete sollen eine Nachverdichtung in Städten
und besonders in Ballungsräumen dahingehend ermöglichen, dass Wohnen und
Gewerbe in Innenstadtlagen bauplanungsrechtlich erleichtert wird. Sie bieten
gegenüber klassischen Mischgebieten ein flexibleres Verhältnis der Nutzungen
Wohnen und Gewerbe und ermöglichen ohne besondere Begründung ein
höheres Maß der Verdichtung.
Mit der Änderung der BauNVO sind in anderen Regelungsbereichen wie der
TA Lärm die Immissionsrichtwerte für urbane Gebiete neu festzusetzen.
Der für urbane Gebiete vorgeschlagene Immissionsrichtwert von 48 dB(A)
nachts ist mit den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen des Gesundheitsschutzes
nicht zu vereinbaren. Das bestehende Rechtssystem sieht zudem
für Mischgebiete als lauteste Gebiete, in denen dauerhaft und von jedermann
gewohnt werden darf, einen Höchstwert von 45 dB(A) in der Nacht vor. Dieser
Wert wird von der einschlägigen Fachliteratur als Effektgrenze definiert, ab
welcher negative gesundheitliche Einflüsse nicht mehr auszuschließen sind.
Vorgeschlagen werden daher Immissionsrichtwerte für urbane Gebiete von
63 dB(A) am Tag und 45 dB(A) in der Nacht. Es ist davon auszugehen, dass
urbane Gebiete auch mit diesen Immissionswerten ausreichende Entwicklungsmöglichkeiten
haben.
Für die planerischen Situationen, die entstehen, wenn Wohnen und Gewerbe
- dem Gebietscharakter des neu in die Baunutzungsverordnung einzuführenden
"Urbanen Gebietes" entsprechend - näher zusammenrücken, stellt das geltende
Recht keine adäquaten Instrumente und Lösungsansätze zur Verfügung. Da ein
qualitätsvolles Wohnen aber gerade im Hinblick auf den vom Gewerbe
ausgehenden Lärm mit dem in der TA Lärm zugrunde gelegten aktiven
Schallschutz vielfach nicht erreicht würde, ist ein alternativer Lösungsansatz
erforderlich.
Dazu sollen unter eng begrenzten Voraussetzungen als Ultima ratio passive
bauliche Schallschutzmaßnahmen wie insbesondere technisch fortgeschrittene
und Schallschutzfenster, die sich öffnen lassen, zugelassen werden. Diese
Fenster ermöglichen den Kontakt zur Außenwelt und stellen gleichzeitig
niedrige Innenpegel sicher. Sie tragen daher mehr zur Herstellung gesunder
Wohnverhältnisse bei als die alternative und mit der geltenden TA-Lärm
konforme Lösung einer Glasscheibe, die sich nicht öffnen lässt. Diese
schneidet die Bewohner gerade von der Außenwelt ab.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom
7. Juni 2012, BVerwG 4 BN 6.12) kann der Konflikt zwischen Gewerbe und
Wohnnutzungen grundsätzlich abwägungsfehlerfrei auch durch passiven
Lärmschutz bewältigt werden. Im Hinblick auf ein an einen Gewerbebetrieb
heranrückendes Wohngebiet stellt das Gericht fest: "Der Rechtssatz, dass es
nach den Umständen des Einzelfalls abwägungsfehlerfrei sein kann, eine
Minderung der Immissionen an Wohngebäuden unter anderem durch passiven
Schallschutz an den Wohn- und Schlafräumen zu erreichen, ist […] verallgemeinerungsfähig."
Mit Urteil vom 29. November 2012 (4 C 8.11) hat das Bundesverwaltungsgericht
aber ergänzend festgestellt, dass bestimmte passive Schallschutzmaß-
nahmen mit den geltenden Messvorschriften der TA Lärm nicht vereinbar sind.
Dies ergebe sich aus der Definition des maßgeblichen Immissionsortes in A.1.3
des Anhangs der TA Lärm, nach der der Immissionsort bei bebauten Flächen
0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am
stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes liegt. Andere Regelwerke wie
die 16. und 24. BImSchV ließen jedoch bereits passiven Lärmschutz zur
Lösung des Nutzungskonflikts zu.
Gleichzeitig darf im Hinblick auf den immissionsschutzrechtlichen Schutzgrundsatz
selbstverständlich ein hohes Lärmschutzniveau insgesamt nicht
aufgegeben werden. Passiver Schallschutz darf daher nur unter folgenden
- engen - Voraussetzungen zugelassen werden:
- Es handelt sich um eine heranrückende Wohnbebauung im Rahmen der
Innenentwicklung.
- Prioritäre Schutzmaßnahmen reichen nicht aus.
- Lärmgeschützte Außenwohnbereiche müssen zur Verfügung stehen.
- Die Festsetzung der Lärmschutzmaßnahmen erfolgt in einem Bebauungsplan
nach Abwägung aller Belange, um anspruchsvolle Innenpegel für
Aufenthaltsräume nach DIN 4109, Ausgabe Juli 2016, als Beurteilungspegel
gemäß TA Lärm sicherzustellen (bei geschlossenen Fenstern
35 dB(A) tags /25 dB(A) nachts und bei teilgeöffneten/gekippten Fenstern
40 dB(A) tags/30 dB(A) nachts).
Damit wird sichergestellt, dass das Schutzkonzept der TA Lärm, das auch Au-
ßenwohnbereiche einbindet, erhalten bleibt und Bestand und Erweiterungsmöglichkeiten
des Gewerbes gewährleistet sind.
© Marc Husmann Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Herausgebers.