Sonntag, 20. August 2017

Wohnungseigentümergemeinschaft: Verlangen eines Versammlungsteilnehmers das Original der Vollmachtsurkunde vorzulegen

LG Frankfurt am Main, 05.08.2015 - 2-13 S 32/13

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Offenbach am Main vom 28. Dezember 2012 - Az.: 330 C 191/12 wird zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf bis zu 4.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien bilden eine Wohnungserbbauberechtigtengemeinschaft mit über 1.000 Wohnungen. Mit den angefochtenen Beschlüssen zu TOP 1 und TOP 2 wurde die Beauftragung eines Rechtsanwaltes für die Verteidigung in einem Beschlussanfechtungsverfahren des Klägers zu 1 sowie die Durchführung des Berufungsverfahrens in dieser Sache und die Beauftragung eines Rechtsanwaltes beschlossen.
Bei der Versammlung waren lediglich 30 Eigentümer persönlich anwesend, ca. 450 Eigentümer sollen durch Vollmachten vertreten gewesen sein.
Der Miteigentümer X war mit 16.450,36 Miteigentumsanteilen Stimmrecht ausgestattet. Vor der Abstimmung zu TOP 1 hat ausweislich des Versammlungsprotokolls der Kläger zu 1) "den Antrag (zur Geschäftsordnung) gestellt, gem. § 180 BGB auf sofortige Einsichtnahme in die Originalvollmachten des Herrn X in der Versammlung". Dieser Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt.
Der Kläger zu 1) behauptet, er habe daraufhin "die Bevollmächtigung des Herrn X für die nachfolgenden Abstimmungen gem. § 180 BGB beanstandet".
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der beklagten übrigen Wohnungserbbauberechtigten.
Von der Darstellung der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 540 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
II.
Die Berufung hat keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht der Anfechtungsklage stattgegeben.
1. Die Kammer ist mit dem Amtsgericht der Ansicht, dass ein Rechtschutzbedürfnis für die Anfechtung der Beschlüsse besteht. Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob die Gerichtsverfahren, die Gegenstand der Beschlussfassung gefasst worden sind, zwischenzeitlich rechtskräftig abgeschlossen worden ist. Denn ein Rechtschutzbedürfnis fehlt nur dann, wenn der Beschluss durchgeführt ist, eine Rückgängigmachung ausgeschlossen ist und die Ungültigerklärung auch sonst keine Auswirkung mehr haben könnte (Niedenführ/Vandenhouten § 46 Rn 101). So liegt der Fall hier allerdings nicht, denn wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass zumindest im Innenverhältnis der Wohnungseigentümer Folgenbeseitigungsansprüche in Betracht kommen (vgl. dazu Kammer NJW 2015, 1767 mwN).
2. Der Beschluss ist auch auf die Anfechtungsklage für ungültig zu erklären, da die Beschlussfassung an einem formellen Fehler litt und nicht auszuschließen ist, dass sich dieser Fehler kausal auf das Beschlussergebnis ausgewirkt hat.
a) Entgegen der Ansicht des Klägers zu 1) besteht allerdings eine Beschlusskompetenz für die gefassten Beschlüsse. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist der Verwalter gesetzlicher Vertreter der beklagten übrigen Wohnungseigentümer und kann aufgrund der gesetzlichen Vertretungsmacht gem. § 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG im Außenverhältnis die beklagten übrigen Wohnungseigentümer umfassend vertreten und einen Rechtsanwalt beauftragen (BGH NZM 2013, 653 [BGH 05.07.2013 - V ZR 241/12]). Wie der Bundesgerichtshof aber auch entschieden hat, nimmt diese Befugnis im Innenverhältnis den Wohnungseigentümern jedoch nicht ihre Entscheidungsmacht und ihre gemeinschaftliche Geschäftsführungsbefugnis, so dass die Wohnungseigentümer nicht gehindert sind, auf einer Eigentümerversammlung über Weisungen an den Verwalter zu beschließen (BGH aaO Rn 15). Denn insoweit der Verwalter aufgrund seiner gesetzlichen Vertretungsbefugnis gem. § 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG tätig wird, muss es den Wohnungseigentümern möglich sein, auf eine Eigentümerversammlung darüber zu beschließen, wie sich der Verwalter im Prozess verhalten soll. Denn die Eigentümerversammlung ist der Ort, an welchem Entscheidungsbildungen innerhalb einer Wohnungseigentümergemeinschaft getroffen werden. Dem steht nicht entgehen, dass im Anfechtungsprozess nicht die Eigentümergemeinschaft verklagt wird, sondern Partei des Rechtsstreites lediglich die übrigen Eigentümer der Wohnungseigentümergemeinschaft sind (a.A. AG Erfurt ZMR 2014, 152), denn Gegenstand der Willensbildung auf einer Eigentümerversammlung ist nicht nur die Willensbildung des teilrechtsfähigen Verbandes, sondern sämtlicher Angelegenheiten der Wohnungseigentümergemeinschaft (so auch Abramenko ZMR 2014, 703). Hierzu gehört auch die Beschlussfassung über die Verteidigung von angefochtenen Beschlüssen der Eigentümergemeinschaft. Zudem ist zu berücksichtigen, dass wie der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden hat (vgl. BGH aaO Rn 14 mwN), der Gesetzgeber das Beschlussanfechtungsverfahren weitgehend einem Verbandsprozess angenähert hat, bei welchem außer Frage stünde, dass eine entsprechende Beschlusskompetenz bestünde.
b) Die Beschlüsse sind allerdings für ungültig zu erklären, weil entgegen § 174 BGB auf Aufforderung des Klägers zu 1) vor der Abstimmung Vollmachten des Wohnungserbbauberechtigten X nicht vorgelegt worden sind und dieser daraufhin diese Vollmachten zurückgewiesen hat.
Wird ein Vertreter, der keine schriftlichen Vollmachten vorlegen kann, daraufhin zurückgewiesen, wird seine Stimmabgabe insoweit unwirksam (§ 174 BGB). Ein Nachreichen der Vollmachten kommt jedenfalls im Falle einer - wie hier - ausdrücklich vorgenommenen Rüge nicht in Betracht. Vielmehr ist, wenn auf Verlangen eines Versammlungsteilnehmers das Original der Vollmachtsurkunde nicht vorgelegt wird, vom Nichtbestand der Vollmacht auszugehen (OLG München NZM 2008, 92 [OLG München 11.12.2007 - 34 Wx 91/07]).
aa) Vorliegend hat der Kläger zu 1) wie sich bereits aus dem Versammlungsprotokoll ergibt, zu Beginn der Versammlung Einsicht in die Vollmachten des Erbbauberechtigten X begehrt. Diese wurde ihm nicht gewährt. Wie die Kammer bereits entschieden hat, entspricht es dem Recht jedes Versammlungsteilnehmers zu jeder Zeit Einsicht in die Originalvollmachten zu nehmen (Kammer NJW 2015, 1767). Dieses Recht ist allerdings kein solches, über welche die Versammlung durch einen Geschäftsordnungsbeschluss disponieren könnte, so dass der entsprechende Beschluss, die Einsicht nicht zu gewähren, auf deren Einsichtsrechte keinerlei Einfluss hat. Die Zurückweisung dieses Gesuches war daher fehlerhaft.
Bereits in der Zurückweisung des Gesuches auf Einsichtnahme in die Vollmachten liegt nach der Rechtsprechung der Kammer ein Beschlussfehler. Denn damit wird das Recht des Versammlungsteilnehmers unterlaufen, sich davon zu überzeugen, ob die Zulassung des Vertretenen zu Recht erfolgt ist und damit die Beschlussfassung in der Versammlung ordnungsgemäß erfolgt (Kammer aaO).
bb) Ob bereits der Beschlussmangel durch die Nichtvorlage der Vollmachten auf die Aufforderung des Klägers zu 1) hin zur Ungültigkeit des angefochtenen Beschlusses führt, kann vorliegend jedoch dahinstehen, denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger zu 1) die Vollmachten des Wohnungserbbauberechtigten X gemäß § 174 BGB zurückgewiesen hat.
(1) ...
(2) Bei der vorgenommenen Zurückweisung der Vollmachten des Wohnungserbbauberechtigten X durch den Klägers zu 1) handelt es sich auch um eine Zurückweisung gem. § 174 BGB. Zwar hat er bei der Zurückweisung lediglich den § 180 BGB genannt. Bei der insoweit gebotenen Auslegung seiner Erklärung ist allerdings eindeutig, dass er die Vertretung durch den Wohnungserbbauberechtigten X deshalb zurückwies, weil dieser keine schriftlichen Vollmachten vorlegen konnte. Dieses ist Regelungsgehalt des § 180 BGB, so dass es sich bei der von dem Kläger zu 1) vorgenommen Zurückweisung von Vollmachten um eine solche nach § 174 BGB handelte.
Dem steht auch nicht entgegen, dass die Abstimmungen, welche die Willenserklärungen enthalten, erst nach der Zurückweisung erfolgten. Denn jedenfalls wenn, wie hier, der Erklärungsgegner die Vollmacht bereits vor Abgabe der Willenserklärung in einer Situation zurückweist, in der - wie auf einer Eigentümerversammlung - mit der Abgabe von Willenserklärungen zu rechnen ist, bedarf es für die Anwendung des § 174 BGB nicht einer (erneuten) Zurückweisung nach Abgabe der Willenserklärung. Schutzzweck des § 174 BGB ist die Wahrung der Gewissheitsinteressen des Dritten, der einseitige Rechtsgeschäft nur gegen sich gelten zu lassen hat, wenn ihm der Vertreter eine Vollmachtsurkunde vorlegt oder der Vollmachtgeber ihn zuvor von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte (MüKoBGB/Schramm § 174 Rn. 1). Insoweit ist es aber ohne Belang, ob die Willenserklärung nach deren Abgabe mangels Vollmacht zurückgewiesen wird oder bereits vor Abgabe der Willenserklärung die Zurückweisung unter Hinweis darauf erfolgt, dass mangels Vollmacht eine wirksame Willenserklärung für den Vertretenen nicht abgegeben werden kann.
Ebenfalls steht der Zurückweisung der Vollmachten nicht entgegen, dass nach dem - bestrittenen - Vortrag der Beklagten der Wohnungserbbauberechtigte X seine Vollmachten dem Verwalter angezeigt hat. Selbst wenn der Verwalter insoweit Vertreter der Eigentümer gem. § 27 Abs. 2 Nr. 1 WEG sein sollte, führt dies nicht dazu, dass die Kenntnis des Verwalters von der Vollmacht die Anwendung des § 174 BGB ausschließt (so aber Bärmann/Merle, WEG, § 25 Rn. 78).
Wie sich aus dem Wortlaut des § 174 S. 2 BGB und dem Umstand ergibt, dass das In-Kenntnis-Setzen ein gleichwertiger Ersatz für die Vorlage der Vollmachtsurkunde sein soll, ist insoweit eine bewusste und zumindest auch an den Dritten gerichtete Kundgabe der Bevollmächtigung erforderlich, da nur so der Schutzzweck des § 174, dem Erklärungsempfänger Gewissheit über die Wirksamkeit des einseitigen Rechtsgeschäftes zu verschaffen, gewahrt werden kann (vgl. MüKoBGB/Schramm § 174 Rn. 7; BeckOK-BGB/Valenthin § 174 Rn. 12; Palandt/Ellenberger § 174 Rn. 7; LAG Rheinland-Pfalz Urteil vom 29. Oktober 2008 - 8 Sa 265/08 -, [...]).
Eine Zurückweisung ist daher gem. § 174 Satz 2 BGB nach einhelliger Ansicht nur dann ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hat (MüKoBGB/Schramm aaO; BeckOK-BGB/Valenthin aaO; Palandt/Ellenberger aaO). Hierfür genügt - wie der Fall, in dem die Parteien maßgeblich um die Frage der Bevollmächtigung des Wohnungserbbauberechtigten X streiten, zeigt - jedenfalls die Information des Verwalters von der Bevollmächtigung nicht.
(3) Dieser Beschlussmangel führt auch zur Ungültigkeit des angefochtenen Beschlusses. Denn die Kausalität eines formellen Beschlussfehlers wird widerlegbar vermutet. Nur wenn zweifelsfrei festgestellt wird, dass der Mangel keinen Einfluss auf das Beschlussergebnis hatte, ist diese Vermutung widerlegt (vgl. nur OLG Frankfurt am Main NZM 2007, 806 [OLG Frankfurt am Main 24.08.2006 - 20 W 215/06] mwN). Da durch die Zurückweisung sämtliche Vollmachten des Wohnungserbbauberechtigten X - unabhängig von der Frage ihrer Existenz - nicht zu berücksichtigen sind, ist angesichts des Abstimmungsergebnisses nicht ausgeschlossen, dass die angefochtenen Beschlüsse nicht zu Stande gekommen wären. Denn nach dem insoweit nicht bestrittenen Vortrag der Klägerseite entfielen auf den Wohnungserbbauberechtigten X Vollmachten in einem Umfang, dass deren Nichtberücksichtigung zu einem anderen Stimmverhältnis geführt hätte. Dass auch ohne eine Berücksichtigung der Vollmachten die Beschlüsse zustande gekommen wären, haben die insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht vorgetragen.
Auf die Frage, in welchem Umfang die Vollmachten tatsächlich vorgelegen haben, und ob diese in rechtswidriger Weise erlangt worden sind, kommt es daher nicht an.
4. Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 544 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Es handelt sich um die Entscheidung eines gesondert gelagerten Einzelfalls aufgrund gefestigter Rechtsprechung. Ob der Frage der Beschlusskompetenz Grundsatzbedeutung zukommt, kann dabei dahinstehen, da sich diese Frage nicht entscheidungserheblich ausgewirkt hat.