Sonntag, 20. August 2017

Verpflichtung zur Zahlung von Hausgeld

Amtsgericht Kassel
Urt. v. 04.05.2017, Az.: 800 C 3456/16


Leitsatz:

Die Anfechtung der Rechtsgeschäfte des Erwebsvorganges einer Eigentumswohnung ist dann nicht erfolgreich (und deswegen im Ergebnis unbeachtlich), um die Verpflichtung zur Zahlung von Hausgeld von Anfang an nicht entstehen zu lassen, wenn im Prozess der Wohnungseingentumsgemeinschaft gegen die als Eigentümer im Grundbuch eingetragene Person
  • diese den Zugang der Anfechtungserklärung beim Veräußerer als Anfechtungsgegner nicht nachweist,
  • diese die Einhaltung der Anfechtungsfrist des § 124 BGB nicht dartut oder
  • die Anfechtungserklärung über mehrere Jahre hinweg ohne jede Konsequenz bleibt (hier ca. 8 Jahre).

Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.255,23 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 4.853,23 € seit dem 01.07.2016 und aus weiteren 402,00 € seit dem 26.10.2016 sowie weitere 492,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.07.2016 zu bezahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Zahlung von Hausgeld.
Die Beklagte schloss - damals noch unter dem Nachnamen CC - mit notariellen Urkunden vom 23.12.2004 (UR Nr. 3859/2004 des Notars AA in M, Bl. I/72 ff.) und vom 19.04.2005 (UR Nr. 1710B/2005 des Notars BB in N, Bl. I/94 ff.) einen Kaufvertrag über die Wohnung Nr. 5 in der Wohnungseigentumsgemeinschaft DD ab. Die Hausverwaltung führt die Beklagte derzeit als Wohnungseigentümerin. Aufgrund der Beschlüsse der Eigentümerversammlung entstanden folgende noch offene Abrechnungsspitzen: für das Wirtschaftsjahr 2014 noch 370,56 € und für das Wirtschaftsjahr 2014 noch 1.950,58 €. Weiter entstanden für das Jahr 2015 Rückstände aus laufenden Hausgeldzahlungsverpflichtungen in Höhe von 1.713,00 € und für das Jahr 2016 bis einschließlich Juni ebensolche in Höhe von 804,00 € und für Juli bis September 2016 weitere 402,00 €. Alle vorstehenden Beträge macht die Klägerin nebst Zinsen und zuzüglich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 492,50 € geltend.
Die Klägerin meint, die Beklagte sei für diese Rückstände als Wohnungseigentümerin im Grundbuch haftbar. Eine Anfechtung des Kaufvertrages bestreitet sie, jedenfalls den Zugang der Anfechtungserklärung.
Die Klägerin beantragt sinngemäß unter Rücknahme von ursprünglich geltend gemachten Mahnkosten in Höhe von 15,00 €,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, den Kaufvertrag über die Wohnung Nr. 5 mit Anwaltsschreiben vom 03.11.2008 (Anlage B5, Bl. I/262 ff. d.A.) wegen arglistiger Täuschung angefochten zu haben, da ihr eine sogenannte "Schrottimmobilie" verkauft worden sei. Aufgrund dieser Anfechtung sie sie nicht mehr als Eigentümerin der Wohnung und Mitglied der Eigentümergemeinschaft anzusehen und hafte deswegen von Anfang an nicht für Hausgelder und Abrechnungsspitzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg.
Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft kann von der Beklagten die noch offenen Hausgelder in geltend gemachter Höhe gem. § 16 Abs. 2 WEG i.V.m. § 28 WEG verlangen, da die Beklagte Wohnungseigentümerin ist.
Die Beklagte ist durch den Kaufvertrag gem. den o.g. notariellen Urkunden vom 23.12.2004 und 19.05.2005 sowie der daraufhin erfolgten Eintragung in das Grundbuch Wohnungseigentümerin geworden. Diese Eigentümerstellung der Beklagten ist weder von Anfang an fehlerhaft bzw. bereits nicht anfänglich entstanden noch später wieder untergegangen.
Insbesondere kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, sie habe den Kaufvertrag vom 23.12.2004/19.05.2005 erfolgreich im Sinne der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom \20.07.2012 - V ZR 241/11 (zit. n. juris) angefochten. Dabei bedarf es in diesem Verfahren keiner Entscheidung darüber, ob die Anfechtung des Kaufvertrages zwingend dazu führen muss, dass der anfechtende Neueigentümer einer Eigentumswohnung nicht mehr in der Pflicht zur Beteiligung an den Kosten und Lasten des Gemeinschaftseigentums steht. Denn im vorliegenden Fall fehlt es mindestens an einer erfolgreichen Anfechtung im Sinne der genannten Entscheidung, auch wenn hier ausweislich der vorgelegten Anfechtungserklärung vom 03.08.2008 nicht nur das schuldrechtliche, sondern auch das dingliche Rechtsgeschäft der Erklärung unterworfen wurde.
Von einer erfolgreichen Anfechtung kann nur dann die Rede sein, wenn diese innerhalb der Anfechtungsfrist des § 124 BGB erklärt wurde, die Erklärung dem Anfechtungsgegner zuging und an der Wirksamkeit der Erklärung auch in materiell-rechtlicher Hinsicht keine Zweifel bestehen, was etwa durch einen Umsetzungsakt dokumentiert sein kann. An diesen Voraussetzungen fehlt es hier.
Zwar hat die Beklagte das Anfechtungsschreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 03.11.2008 vorgelegt, Aus diesem Schreiben lassen sich jedoch keinerlei Informationen dazu gewinnen, ob es innerhalb der Jahresfrist des § 124 BGB versendet wurde. Auch wenn die Anfechtungsfrist nach § 124 Abs. 2 BGB im Falle einer arglistigen Täuschung (die hier wohl zur Debatte steht) erst ab Entdeckung der Täuschung zu laufen beginnt, bestehen hier angesichts des Zeitablaufes zwischen dem Vertragsschluss im Dezember 2004/Mai 2005 und der Anfechtungserklärung im August 2008 von etwa dreieinhalb Jahren erheblich Zweifel daran, ob die Anfechtung überhaupt noch fristgerecht erklärt werden konnte. Aus dem Umstand, dass die Beklagte bis zu diesem Rechtsstreit keinerlei Konsequenzen aus der Anfechtungserklärung zog, sich also weder um eine Berichtigung des Grundbuchs hinsichtlich ihrer Eintragung als Eigentümerin bemühte noch sich gegenüber der Klägerin oder der Verwalterin auf den Wegfall ihrer Eigentümerstellung dergestalt berief, dass sie entweder aus den Eigentümerpflichten entlassen wurde oder die Klägerin bzw. Verwalterin Anlass hatte, die Pflichten der Beklagten gerichtlich überprüfen zu lassen, schließt das Gericht, dass die Beklagte selbst nicht davon ausging, dass die Erklärung vom 03.11.2008 eine entsprechende Wirkung nach sich ziehen konnte. Dabei berücksichtigt das Gericht auch, dass die Beklagte keinen Vortrag dazu gehalten hat, wann sie von der von Ihr behaupteten Eigenschaft der kaufvertragsgegenständlichen Eigentumswohnung als "Schrottimmobilie" in irgendeiner Form Kenntnis erlangt haben will. Das von ihr vorgelegte Sachverständigengutachten vom 19.05.2009 (Bl. I/98 ff. d.A.), beruhend auf einem Ortstermin vom 15.05.2009, kann jedenfalls zur Bestimmung der Kenntniserlangung im Sinne des § 124 Abs. 2 BGB nicht herangezogen werden, da es über sechs Monate nach dem Anfechtungsschreiben vom 03.11.2008 datiert. Einen anderen Anhalt nennt die Beklagte nicht, aus dem sie auf die Anfechtbarkeit des Kaufvertrages bzw. Übertragungsaktes hätte schließen können. Im Anfechtungsschreiben vom 03.11.2008 nimmt sie zwar Bezug auf ein Sachverständigengutachten mit einer vom Kaufpreis abweichenden Wertangabe (30.600,00 € anstatt vereinbarter 79.730,00 €), welches sie dort aber nicht näher bezeichnet. Um das o.g. Gutachten kann es sich aber wegen des dafür maßgeblichen Ortstermins ebenfalls im Mai 2009 nicht handeln. Weitere Anhaltspunkte liefert auch das Anfechtungsschreiben nicht. Spätestens nach den Erörterungen und gerichtlichen Hinweisen im Termin vom 23.03.2017 war die Beklagte allerdings gehalten, hierzu weiter vorzutragen.
Weiter fehlt es an hinreichendem Vortrag zum Zugang der Erklärung vom 03.11.2008 bei der Anfechtungsgegnerin, der Verkäuferin der Wohnung. Dabei fällt bereits auf, dass die Adresse des Schreibens vom 03.11.2008 nicht mit der in den beiden notariellen Vertragsurkunden enthaltenen Anschrift der Verkäuferin übereinstimmt. Somit bestehen bereits Zweifel, ob die Bevollmächtigten der beklagten überhaupt einen tauglichen Übermittlungsweg gewählt hatten. Darüber hinaus hat die Klägerin zulässigerweise den Zugang des Schreibens vom 03.11.2008 mit Nichtwissen bestritten. Denn der Vorgang der Übermittlung des Anfechtungsschreibens an die Anfechtungsgegnerin (Verkäuferin) spielt sich vollständig außerhalb ihres eigenen Wahrnehmungsbereiches ab. Zum Zugang des Schreibens hat sie die Beklagte lediglich pauschal auf das Zeugnis einer Frau LL bezogen, ohne irgendwelche detaillierten Tatsachen oder Vorgänge zu bekunden, die im Zusammenhang mit dem Zugang des Anfechtungsschreibens stehen könnten. Sollte es sich wegen der Namensidentität mit der das Schreiben vom 03.11.2008 unterzeichneten früheren Kanzleikollegin LL der Prozessbevollmächtigten der Beklagten handeln, wäre diese für den Zugang des Schreibens auch keine taugliche Auskunftsperson, da sie allenfalls etwas über die Weggabe des Schreibens bekunden können dürfte. Aber bereits dazu hat die Beklagte keinerlei Vortrag gehalten. Diesen hätte sie auch hierzu spätestens nach den Erörterungen und Hinweisen des Gerichts im Termin vom 23.03.2017 weiter vortragen können und müssen, ohne dies innerhalb der eingeräumten Schriftsatzfrist nachzuholen.
Schließlich fehlt es an jedwedem Vortrag zu tauglichen Indizien dafür, dass irgendwelche Konsequenzen aus dem Anfechtungsschreiben folgten, die auf einen materiell-rechtlichen "Erfolg" der Anfechtung deuten. So hat die Beklagte trotz gerichtlichem Hinweis nichts zu einer etwaigen Grundbuchberichtigung oder vergleichbaren Vorgängen vorgetragen. Sie hat damit nichts auch nur ansatzweise dokumentiert, dass sie selbst die für sie erklärte Anfechtung umsetzen wollte.
Im Ergebnis kann dies nichts anderes bedeuten, als dass die Anfechtung vom 03.11.2008 gleichsam "ins Leere" ging und gerade nicht zu einer rückwirkenden Beseitigung der Eigentümerstellung der Beklagten von Anfang an führte.
Hinsichtlich der materiell-rechtlichen Rechtfertigung der eingeklagten Rückstände und ihrer Höhe blieb das Klagevorbringen unstreitig.
Der Ausspruch über die Zinsen beruht auf §§ 280, 286, 288, 291 BGB.
Die Klägerin kann weiter unter Verzugsschadensersatzgesichtspunkten die ihr entstandenen Rechtsanwaltskosten als solche zweckentsprechender Rechtsverfolgung in geltend gemachter Höhe erstattet verlangen, zu verzinsen gem. §§ 280, 286, 288 BGB.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr.1, 269 Abs. 3 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.