Samstag, 19. August 2017

Beschlussfassung der Gemeinschaft im schriftlichen Umlaufverfahren

LG München I, Endurteil v. 20.04.2015 – 1 S 12462/14 WEG


Leitsätze:
1. Im Umlaufverfahren setzt ein Beschluss nach § 23 III WEG die schriftliche Zustimmung aller Wohnungseigentümer sowohl zum Verfahren als auch zum Beschlussantrag voraus. (amtlicher Leitsatz)
2. Verweigert ein Wohnungseigentümer die Zustimmung zum Beschluss im schriftlichen Verfahren nach § 23 III WEG, ist das schriftliche Verfahren gescheitert. (amtlicher Leitsatz)

3. Einen Anspruch auf Abgabe einer Stimme im schriftlichen Verfahren haben die Wohnungseigentümer untereinander nicht. (amtlicher Leitsatz)

Entscheidungsgründe

Landgericht München I
Az.: 1 S 12462/14 WEG
IM NAMEN DES VOLKES
484 C 1833/14 WEG AG München
Leitsätze:
Kurzsachverhalt
Die Parteien gehören einer Wohnungseigentümergemeinschaft an. Außer den Klägern verfügen alle Eigentümer über eine Garage. Die Kläger leben gemeinsam mit ihrem zu 100% schwerbehinderten volljährigen Sohn. Sie beabsichtigen den Bau einer Garage mit überdachtem Eingang. Auf einem von der Stadt genehmigten Freiflächengestaltungsplan sind Garagen für alle Eigentümer ausgewiesen. Die geplante Garage der Kläger befindet sich auf der dort dafür ausgewiesenen Fläche. Durch diese Fläche verläuft ein Grundstücksstreifen, an dem für die Einheiten beider Parteien ein gemeinsames Sondernutzungsrecht für den Zu- und Abgang sowie für den Verlauf von Versorgungsleitungen zu beiden Sondereigentumseinheiten besteht. In einem früheren Gerichtsverfahren waren die Kläger mit einem anderen Garagenplan gescheitert. Die Kläger begehren mit ihrer Klage die Zustimmung der Beklagten zur nun geplanten Garagenerrichtung. Die Eigentümerversammlung ist mit der Angelegenheit noch nicht befasst worden. Die Kläger behaupten, außer den Beklagten seien alle Wohnungseigentümer einverstanden. Die Kläger sind der Auffassung, die Beklagten müssten mit Blick auf ein von den Klägern beabsichtigtes Umlaufbeschlussverfahren der Errichtung der Garage zustimmen.
Das Amtsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Weder müssten die Beklagten zustimmen noch sei ihre Zustimmung entbehrlich, weil das weder aus dem Freiflächennutzungsplan noch aus der Teilungserklärung noch aus dem Umstand folge, dass das Maß der Beeinträchtigung nach § 14 Nr. 1 WEG mit Rücksicht auf die besonderen Belange des schwerbehinderten Sohnes der Kläger nicht überschritten sei. Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren fort.
erlässt das Landgericht München I aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20.04.2015 folgendes
Endurteil
(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)
1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 22.05.2014, Az. 484 C 1833/14 WEG, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage hinsichtlich der Klageanträge I. und II. als unzulässig abgewiesen wird.
2. Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Von einer Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 II, 313a I 1 ZPO abgesehen, da ein Rechtsmittel gegen das vorliegende Urteil nicht in Betracht kommt: Die Revision wurde nicht zugelassen, eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nach § 62 II WEG ausgeschlossen, da es sich um eine Streitigkeit nach § 43 Nr. 1 WEG handelt.
II.
1. Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Klage ist bereits unzulässig. Ihr fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
a) Das Amtsgericht hat das Rechtsschutzbedürfnis damit begründet, dass ein Wohnungseigentümer, der eine bauliche Veränderung plane, ein schriftliches Beschlussverfahren nach § 23 III WEG initiieren könne. Zur Einleitung eines solchen ohne Versammlung sei jeder Wohnungseigentümer berechtigt. Deshalb bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis dafür, dass die Kläger die Zustimmung der Beklagten im Wege der Klage einfordern.
b) Das hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
(1) Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage fehlt, wenn vorrangige Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen, die noch nicht ausgeschöpft wurden, oder wenn das eigentlich verfolgte Ziel mit der Klage nicht erreicht werden kann (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., vor § 253 Rn. 16).
(2) Beides ist hier der Fall. Ein Eigentümer, der von den anderen Eigentümern einer Wohnungseigentumsgemeinschaft die Zustimmung zu einer von ihm beabsichtigten baulichen Veränderung begehrt, muss mit seinem Anliegen grundsätzlich zunächst die Eigentümerversammlung befassen, bevor er Klage erheben kann. Eine solche Vorbefassung der Eigentümerversammlung hat aber noch nicht stattgefunden. Zudem kann die hier beantragte isolierte Zustimmung einzelner Wohnungseigentümer außerhalb eines Beschlussverfahrens die Maßnahme nicht nach § 22 I 1 WEG legitimieren.
(a) Die Zustimmung nach § 22 I 1 BGB kann nur im Rahmen eines Beschlussverfahrens der Eigentümergemeinschaft durch positive Stimmabgabe zu dem beantragten Beschluss abgegeben werden; die isolierte Zustimmung beeinträchtigter Wohnungseigentümer außerhalb eines Beschlussverfahrens ist bedeutungslos und legitimiert Maßnahmen nach § 22 I 1 WEG nicht ( LG München I Urteil vom 16.11.2009- 1 S 4964/09, ZWE 2010, 98, Rn. 11 ff.; LG Berlin, ZWE 2011, 181, Rn. 9; Spielbauer/Then, WEG, 2 Aufl., § 22 Rn. 7 aE; Bärmann/Merle, WEG, 12. Aufl., § 22 Rn. 137; Palandt/Bassenge, BGB, 73. Aufl., § 22 WEG Rn. 6 f.; Riecke/Schmid - Drabek, WEG, 4. Aufl., § 22 Rn. 22 f.; Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten-Vandenhouten, WEG, 11. Aufl., § 22 Rn. 4). Die Beschlussabstimmung findet grundsätzlich in der Eigentümerversammlung statt, § 22 WEG. Sie ist auch in einem schriftlichen Verfahren (sog. Umlaufverfahren) möglich. Im Umlaufverfahren setzt ein Beschluss nach § 23 III WEG jedoch die schriftliche Zustimmung aller Wohnungseigentümer sowohl zum Verfahren als auch zum Beschlussantrag voraus (vgl. hierzu Bärmann/Merle, WEG, 12. Aufl., § 22 Rn. 141; Palandt/Bassenge, BGB, 73. Aufl., § 22 WEG Rn. 6; Spielbauer/Then, WEG, 2 Aufl., § 22 Rn. 17). Verweigert ein Wohnungseigentümer die Zustimmung zum Beschluss im schriftlichen Verfahren nach § 23 III WEG, ist das schriftliche Verfahren gescheitert. Einen Anspruch auf Abgabe einer Stimme im schriftlichen Verfahren haben die Wohnungseigentümer untereinander nicht. Zwar hat jeder Wohnungseigentümer - wie das Amtsgericht zutreffend ausführt - ein Recht, ein Umlaufverfahren nach § 23 III WEG zu initiieren. Darauf, dass die übrigen Wohnungseigentümer dem schriftlichen Verfahren auch zustimmen, besteht aber nach dem gesetzlichen Konzept kein Anspruch.
(b) Der Anspruchsteller muss mit seinem Anliegen vielmehr zunächst die Eigentümerversammlung befassen, bevor er Klage auf Zustimmung zu einer baulichen Veränderung erhebt.
(aa) § 22 I 1 WEG n. F. räumt dem einzelnen Eigentümer ausdrücklich das Recht ein, einen Genehmigungsbeschluss zu verlangen, um verbindlich festzustellen, ob die übrigen Eigentümer mit der baulichen Veränderung (sei es insgesamt, nur unter Auflagen oder gar nicht) einverstanden sind (BT-Drucksache 16/887, S. 29; Spielbauer/Then, WEG, § 22 Rn. 7). Dabei müssen die Eigentümer klären, ob die bauliche Veränderung einen Nachteil im Sinne des § 14 Nr. 1 WEG auslöst und ob gegebenenfalls benachteiligte Eigentümer zugestimmt haben. Gibt es keinen Nachteil oder haben die Benachteiligten zugestimmt, müssen die Eigentümer durch Beschluss gemäß § 22 I 1 WEG n. F. ihr Einverständnis mit der baulichen Änderung erklären (BT-Drucksache 16/887, S. 29). Dieser Beschlussfassung können sich die Eigentümer nicht entziehen: Gemäß § 22 I 1 WEG müssen sie auf Verlangen des einzelnen Eigentümers in der Versammlung einen entsprechenden Mehrheitswillen in Bezug auf die bauliche Änderung bilden (BT-Drucksache 16/887, S. 29).
(bb) Ist die Willensbildung fehlerhaft und lehnen die Eigentümer die bauliche Änderung zu Unrecht durch Beschluss ab, muss der den Antrag stellende Eigentümer diesen Beschluss vor Gericht anfechten und kann dabei zugleich das Ergebnis einer positiven Beschlussfassung im Sinne des § 22 I 1 WEG herbeiführen.
(cc) Durch dieses Prozedere wird sichergestellt, dass die Eigentümer zunächst Gelegenheit erhalten, sich in einer Versammlung über die genaue Art und Weise der baulichen Veränderung ein Bild zu machen und darauf basierend einen Willen zu bilden. Erst danach kann das Ergebnis dieser Willensbildung gerichtlich überprüft werden.
(So bereits LG München I, Urteil vom 16. November 2009 - 1 S 4964/09, Rn. 16-18, juris).
(dd) Der nach dem gesetzlichen Konzept vorgesehene Vorrang der Beschlussfassung durch die Eigentümergemeinschaft gegenüber der Einschaltung der Gerichte kann nicht dadurch unterlaufen werden, dass vorab einzelne Eigentümer gerichtlich zur Zustimmung verurteilt werden könnten. Einzelne Eigentümer würden ansonsten Gefahr laufen, kostenpflichtig zu einer Zustimmung verurteilt zu werden, obwohl der klagende Eigentümer, wie bereits anfänglich geplant oder aufgrund späteren Sinneswandels, letztlich keine wirksame positive Entscheidung der Eigentümer über die angeblich geplante bauliche Veränderung herbeiführt.
(ee) Ebenso wenig ist dies im Blick auf ein noch zu initiierendes künftiges Umlaufverfahren oder als - gleichsam klageweise erfolgender - Beginn eines Umlaufverfahrens möglich. Denn das Umlaufverfahren setzt nach § 23 III WEG die Zustimmung eines jeden Wohnungseigentümers zum Umlaufverfahren voraus. Daran fehlt es gerade, wenn einzelne Wohnungseigentümer - wie hier die Beklagten - die Zustimmung verweigern. Einen - klageweise durchsetzbaren - Anspruch auf positive Stimmabgabe im Umlaufverfahren hat der Eigentümer aber gerade nicht.
(c) Der demnach bestehende Vorrang der Herbeiführung eines Beschlusses durch Vorbefassung der Eigentümergemeinschaft gemäß § 22 I 1 WEG ist im Streitfall auch nicht ausnahmsweise entbehrlich, weil - wie die Kläger meinen - völlig klar wäre, dass die bauliche Veränderung überhaupt keine nachteilige Wirkung i. S. d. § 14 Nr. 1 WEG entfalten könnte, so dass die Zustimmung der übrigen Eigentümer nach § 22 I 1 WEG ohne Zweifel und ohne weitere Prüfung vollumfänglich beschlossen werden müsste. Denn auch unter Berücksichtigung der besonderen Rechtsstellung der Kläger angesichts der verfassungsrechtlich besonders geschützten Bedürfnisse des bei ihnen lebenden gehbehinderten Sohnes ist nicht offensichtlich, dass sich die bauliche Veränderung innerhalb des hinnehmbaren Maßes nach § 14 Nr. 1 WEG bewegt. Die Errichtung der Garage mit überdachtem Hauszugang ist auf dem Grundstücksstreifen geplant, an dem für das Sondereigentum der Beklagten ein Sondernutzungsrecht besteht. Bereits darin liegt eine Beeinträchtigung, die das nach § 14 Nr. 1 WEG hinnehmbare Maß - auch unter Berücksichtigung der Gehbehinderung des Sohnes der Kläger - überschreiten kann. Ob dies tatsächlich der Fall ist, muss hier nicht entschieden werden. Denn schon die Möglichkeit der relevanten Beeinträchtigung schließt es aus, ausnahmsweise auf die Vorbefassung der Eigentümergemeinschaft zu verzichten.
d) Soweit der Kläger ausführt, die Zustimmung sei - aus weiteren Gründen - entbehrlich, würde der Klage das Rechtsschutzbedürfnis ebenso fehlen, weil der Antrag dann keinen Sinn machen würde.
e) Das Berufungsgericht hat auf den Umstand des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses in der Berufungsverhandlung hingewiesen und Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.
2. Die Berufung ist daher zurückzuweisen, jedoch mit der Maßgabe, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird. Dieser Abänderung auf die Berufung der Kläger steht das Verbot der „reformatio in peius“ (vgl. § 528 Satz 2 ZPO) nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1999 - VIII ZR 78/98, Rn. 29, zitiert nach juris Ball in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 528 Rn. 18).
III.
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO.
2. Die Revision ist gemäß § 543 I Nr. 1, II ZPO nicht zuzulassen, da die vorliegende Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erforderlich ist. Es geht lediglich um die Auslegung des Gesetzes anhand von im Wohnungseigentumsrecht allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen. Dies gilt insbesondere zu den tragenden Erwägungen zum hier fehlenden Rechtsschutzbedürfnis, weil vorrangige Rechtsschutzmöglichkeiten nicht ausgeschöpft wurden und zudem das verfolgte Ziel mit der Klage nicht erreicht werden konnte.
3. Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist nicht veranlasst, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil nicht mehr gegeben ist.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 49a GKG.