Mittwoch, 21. Februar 2018

Zahlungsanspruch des Versorgungsunternehmens nach verspäteter Abrechnung

OLG Karlsruhe Urteil vom 26.11.2014, 7 U 35/14

Stromlieferungsvertrag: Zahlungsanspruch des Versorgungsunternehmens nach verspäteter Abrechnung; Verjährungsbeginn; Verwirkung

Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 31. Januar 2014 - 8 O 234/13 - wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.
III. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Bezahlung von Stromrechnungen in Höhe eines Gesamtbetrages von 9.727,09 EUR für die Verbrauchs- und Abnahmestelle K. in B. im Lieferzeitraum vom 26.04.2002 bis zum 30.06.2009.

Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen des Sach- und Streitstands im ersten Rechtszug einschließlich der dort gestellten Anträge sowie der getroffenen Feststellungen Bezug genommen wird, hat der Klage stattgegeben.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er seinen Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgt. Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt Zurückweisung der Berufung. Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, wegen der Antragstellung auf die Sitzungsniederschrift vom 26.11.2014 (II 53).

II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht Ansprüche der Klägerin gemäß § 433 Abs. 2 BGB aus dem mit dem Beklagten bestehenden Stromlieferungsvertrag auf Zahlung in Höhe von insgesamt 9.727,09 EUR für den im Zeitraum vom 26.04.2002 bis zum 30.06.2009 an den Beklagten gelieferten Strom bejaht. Die unstreitig entstandenen Ansprüche sind weder verjährt noch ist die Nachforderung der Rechnungsbeträge gemäß § 18 Abs. 2 Strom GVV ausgeschlossen und ihre Geltendmachung ist auch nicht gemäß § 242 BGB verwirkt.

1. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Klägerin nicht durch § 18 Abs. 2 StromGVV (bzw. bis 07.11.2006 § 21 Abs. 2 AVBeltV) gehindert, die geltend gemachten Stromkosten zu verlangen.

a) Die Vorschriften sind, was die Berufung nicht verkennt, nicht unmittelbar anwendbar. Nach ihnen sind Nachforderungen der Stromversorgungsunternehmen auf längstens 3 Jahre (§ 18 Abs. 2 StromGVV) bzw. 2 Jahre (§ 21 Abs. 2 AVBeltV) beschränkt. Die Vorschriften bestimmen, dass der zu viel oder zu wenig berechnete Betrag zu erstatten oder nach zu entrichten ist, wenn eine Prüfung der Messeinrichtungen eine Überschreitung der Verkehrsfehlergrenzen ergibt oder Fehler in der Ermittlung des Rechnungsbetrags festgestellt werden. Sie tragen dem Umstand Rechnung, dass technische Mängel oder menschliches Versagen bei der Erfassung und Abrechnung der gelieferten Energie auch bei sorgfältiger Kontrolle und Organisation der Verbrauchserfassung und -abrechnung nicht zu vermeiden sind und innerhalb des auf zwei bzw. drei Jahre beschränkten Zeitraums müssen nachberechnet werden können. Die Beschränkung auf zwei bzw. drei Jahre gilt nur für Berechnungsfehler, die auf fehlerhafte Messeinrichtungen, auf Ablesefehler oder auf eine falsche kaufmännische Berechnung des Strompreises zurückzuführen sind (BGH, NJW-RR 2004, 1352; BGH, NJW-RR 1987, 237 ff., juris Tz. 11; OLG Düsseldorf, RdE 2009, 227 ff., juris Tz. 46). All dies war nicht der Fall; die Abrechnungen beruhen nicht auf solchen Fehlern.

b) Der Beklagte kann sich auch nicht in entsprechender Anwendung der oben genannten Vorschriften auf die darin verankerte zeitliche Beschränkung für Nachforderungen berufen. Denn Fälle der unterbliebenen Abrechnung fallen nicht unter diese Vorschriften. Die Beschränkung des Nachberechnungs- und Nachforderungsrechts auf einen Zeitraum von zwei bzw. drei Jahren basiert auf dem Gedanken des Schutzes des Vertrauens des Kunden darin, dass die ihm auf Grund einer vorangegangenen Ablesung erteilte Rechnung vollständig und richtig ist. Ein solches Vertrauen kann Derjenige nicht gewonnen haben, der über einen langen Zeitraum hinweg Energie bezieht, ohne jemals eine Rechnung von dem Energieversorger erhalten zu haben (BGH, NJW-RR 1987, 237 ff., juris Tz. 11; OLG Düsseldorf, a.a.O., juris Tz. 50; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1987, 945, 946). Denn dass der Stromlieferant nicht kostenlos liefert, versteht sich von selbst.

2. Entgegen der Berufung kann der Beklagte auch nicht die Leistung gemäß §§ 214 Abs. 1, 194 Abs. 1 BGB wegen Eintritts der Verjährung verweigern.

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a) Die Ansprüche unterliegen der Regelverjährung von drei Jahren gemäß § 195 BGB. Der Lauf der Verjährung hat erst im Zeitpunkt des Zugangs der jeweiligen Rechnungen beim Beklagten im Jahre 2009 begonnen. Maßgeblich für den Verjährungsbeginn ist hier ausgehend von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB der Zeitpunkt, zu welchem der Anspruch erstmalig geltend gemacht und notfalls im Wege der Klage durchgesetzt werden kann, d. h. der Zeitpunkt, in dem die Forderung fällig wird. Dabei steht der Verjährung nicht entgegen, dass die Klägerin objektiv die Möglichkeit gehabt hätte, die der Forderung zugrunde liegenden Stromlieferungen schon früher zu berücksichtigen. Denn maßgebend für den Verjährungsbeginn ist nicht der Zeitpunkt, zu dem die Klägerin die Fälligkeit durch Vorlage einer Abrechnung hätte herbeiführen können, sondern der Zeitpunkt, an dem die Nachforderungsansprüche fällig werden (BGH, NJW-RR 1987, 237, juris Tz. 29, 33 f.; BGH, NJW 1982, 930, 931, juris Tz. 20/25; OLG Düsseldorf, RdE 2009, 227 ff., juris Tz. 55 m.w.N.; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1987, 945, 946). Bei der Geltendmachung von Versorgungsleistungen setzt die Fälligkeit des Anspruches jedoch voraus, dass das Versorgungsunternehmen dem Kunden eine Rechnung erteilt, vgl. § 17 Abs. 1 S. 1 StromGVV in der Fassung vom 26.10.2006.

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Dieser Zeitpunkt liegt hier nicht vor der Erteilung der Rechnungen im Jahre 2009. Hieraus folgt, dass das ab 01. Januar 2002 geltende, Recht anzuwenden ist, wonach die dreijährige Verjährung des § 195 BGB Ende 2009 begonnen hat (§ 199 Abs. 1 Nr. 1/2 BGB), diese durch Zustellung des Mahnbescheids am 14.12.2012 (I 9) gehemmt wurde (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB) und die Forderungen demnach nicht verjährt sind. Auf die Frage der Kenntniserlangung der Klägerin davon, dass sie den Beklagten fälschlicher Weise nicht mehr als Kunde führte, kommt es danach nicht an.

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b) Entgegen der Berufung liegen keine hinreichenden Umstände für einen vorzeitigen Verjährungsbeginn wegen eines treuwidrigen Verhaltens der Klägerin vor. Für einen solchen vorzeitigen Verjährungsbeginn reicht es nicht aus, wenn der Gläubiger einen Anspruch nur verspätet geltend macht. Nach § 40 Abs. 2 StromGVV in der bis zum 11.11.2010 gültigen Fassung (jetzt Abs. 3, vgl. bis zum 07.11.2006 § 24 Abs. 1 AVBeltV) sind Lieferanten zwar verpflichtet, den Energieverbrauch nach ihrer Wahl monatlich oder in anderen Zeitabschnitten, die jedoch zwölf Monate nicht wesentlich überschreiten dürfen, abzurechnen (vgl. auch Abs. 4 dieser Vorschrift in der Fassung vom 20.12.2012, wonach Lieferanten sicherstellen müssen, dass der Letztverbraucher die Abrechnung nach Absatz 3 spätestens sechs Wochen nach Beendigung des abzurechnenden Zeitraums und die Abschlussrechnung spätestens sechs Wochen nach Beendigung des Lieferverhältnisses erhält). Rechtsfolge eines Verstoßes ist jedoch nicht eine entsprechende Verkürzung der Verjährung wegen einer Treuwidrigkeit auf Seiten des Versorgers (vgl. BGH, NJW 1991, 836 f., juris Tz. 19 f.; BGH, NJW-RR 1987, 237, juris Tz. 33 f.). Ob dem Kunden aus dem Verstoß ein Schadensersatzanspruch für den aufgrund der Fristversäumung entstandenen Schaden erwachsen kann, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn einen solchen macht der Beklagte nicht geltend und ein Schadensersatzanspruch auf Freistellung von der Forderung steht ihm nicht zu (vgl. BGH, NJW-RR 1987, 237, juris Tz. 38; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1987, 945, 947).

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3. Zutreffend hat das Landgericht auch eine Verwirkung gemäß § 242 BGB verneint. Es fehlt jedenfalls an dem erforderlichen Umstandsmoment.

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a) Der Schuldner des Stromlieferanten kann bei objektiver Würdigung nicht annehmen, allein deswegen, weil der Gläubiger in angemessener Frist nicht abgerechnet habe, verzichte dieser auf Forderungen. Denn die Gründe für das Versäumnis des Lieferanten können vielgestaltig sein. Dem Lieferanten darf es nicht schon ohne weiteres zum Nachteil gereichen, wenn er mit der Geltendmachung der Forderung etwa aus Kulanz oder auch nur aus eigener Bequemlichkeit oder aus Sorglosigkeit zuwarte. Grundsätzlich können daher die Ansprüche des Versorgungsunternehmens nicht allein schon deswegen als verwirkt angesehen werden, weil es nicht fristgerecht abgerechnet hat. Der Gesichtspunkt der Verwirkung ist auf Ausnahmefälle zu beschränken. Er kann nur dann durchgreifen, wenn über das bloße Verstreichenlassen der Abrechnungsfrist hinaus Umstände vorliegen, die den Schluss darauf zulassen, der Lieferant wolle keine Ansprüche mehr geltend machen (vgl. BGH, NJW 1984, 1684 f., juris Tz. 10 zur Nebenkostenabrechnung des Vermieters).

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b) Hier hat die Klägerin nicht aufgrund besonderer Umstände dem Beklagten gegenüber den Eindruck erweckt, das Unterlassen der Abrechnung bedeute einen Verzicht auf einen sich bei einer solchen sich ergebenden Anspruch.

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Der Beklagte wusste, dass er ausschließlich mit ihr einen Stromlieferungsvertrag geschlossen hatte. Nach seinem eigenen Vorbringen, was sich im Übrigen von selbst verstand, war er sich auch gerade bewusst, dass die Klägerin ihre Leistungen ihm gegenüber nicht unentgeltlich erbrachte. Der Umstand, dass er nach seinem Vortrag (vgl. I 129) die Klägerin wiederholt auf ihren Irrtum hingewiesen und Zahlungen angeboten hat, bis die Angelegenheit hinsichtlich seiner Kundeneigenschaft durch sie geklärt sei, die Klägerin solche jedoch unter Hinweis auf Buchungsschwierigkeiten abgelehnt habe, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Denn auch wenn sie in Kenntnis seiner Kundeneigenschaft dennoch keine Abrechnungen erstellte und das Angebot von (Abschlags-) Zahlungen aus buchungstechnischen Gründen zurückwies, war dies nicht geeignet, ein Vertrauen darin zu begründen, dass sie auf ihre nach der eigenen Auffassung des Beklagten vorhandenen Ansprüche verzichtete. Vielmehr musste sich ihm dann geradezu aufdrängen, dass dies wegen eines Organisationsmangels unterblieb (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 15.05.2007 - 11 U 148/06, juris Tz. 41; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1987, 945, 946/947). Im Übrigen hat der beweispflichtige Beklagte für seine von der Klägerin bestrittene Behauptung, er habe sie wiederholt telefonisch unter dem Angebot von Zahlungen auf den Irrtum hingewiesen, keinen Beweis angeboten. Es ist nicht ersichtlich, wieso der Senat der Behauptung des Beklagten mehr Glauben schenken soll als dem Bestreiten der Klägerin.

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Anders, als die Berufung meint, hat der Stromlieferer es auch nicht in der Hand, die Fälligkeit der Rechnungen selbst zu bestimmen, ohne dass der Verbraucher hierauf einwirken kann. Vielmehr hat dieser nach dem oben Gesagten einen durchsetzbaren Anspruch auf Erteilung der Abrechnung und kann so selbst die Fälligkeit herbeiführen. Unerheblich ist entgegen der Auffassung des Beklagten auch, dass die Klägerin nach Erstellung und Versand der Abrechnungen im Jahre 2009 noch bis zum Dezember 2012 mit der Einleitung des Mahnverfahrens zugewartet hat. Vielmehr oblag es ihm, nach Erhalt der Rechnungen diese zu bezahlen. Aus dem Umstand, dass die Klägerin entgegen ihrer Ankündigung in dem Schreiben vom 28.08.2009 (AH II, 11/13, B6) das gerichtliche Mahnverfahren nicht umgehend eingeleitet hat, folgt nichts anderes, zumal sie in diesem Schreiben ausdrücklich darauf hinwiesen hat, dass sie auf der Forderung besteht.

III.
18 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.